Marienklage: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 26. August 2022, 17:08 Uhr

Die M. entstand im Hochmittelalter als epische, lyrische und dramatische Form. Während in der Patristik und der frühmittelalterlichen Literatur die Klage der Gottesmutter unter dem Kreuz nicht erwähnt ist, beginnt Maria im Zuge der mystischen Laienfrömmigkeit am Ende des 12. Jahrhunderts als mitleidende und schmerzensreiche Mutter des Gekreuzigten in den Vordergrund zu treten. Stellvertretend für die Menschheit beklagt Maria die Leiden und den Tod ihres Sohnes und wird dadurch zur Vorbildgestalt christlicher "compassio" im Sinn der Leidenstheologie. M. finden sich als Bestandteile grosser Passionsspiele, bilden aber als so genannte dramatische M. auch eine eigene Aufführungsgattung. Als Quellen und Vorbilder der gesungenen dramatischen M. sind der aus dem 12. Jahrhundert stammende "Planctus ante nescia" des Gottfried von Breteuil († 1196), die Sequenz "Flete fideles animae" und der Hymnus "O filii ecclesie" nachgewiesen. Die Frage nach dem Ausmass der Kontrafakturen und die Herkunft der Melodien kann aber in vielen Fällen nicht beantwortet werden; allgemein ist von einem grossen Einfluss der liturgischen Gesänge und Musik auszugehen, aber auch Darstellungen der bildenden Kunst dürften die Gestaltung von M. beeinflusst haben. Zusammenhänge mit Totenklagen, Minnesang und Heldenlied werden in Betracht gezogen, sind aber umstritten. Als gesichert gelten die Melodieübernahmen des "Palästina-Liedes" von Walther von der Vogelweide und der "Grossen Tagweise" Peters von Arberg. Untersuchungen zu den Quellen der nicht notierten "dicit"-Texte der M. fehlen noch weit gehend. Neben dem monologischen Typus der M. gibt es den dialogischen, der auf den pseudobernhardischen Traktat "De passione Christi et doloribus et planctibus Matris eius" (entstanden zwischen 1180 und 1200) zurückgeht. Dieser Traktat wurde im frühen 13. Jahrhundert ins Alemannische übertragen und Mitte des 13. Jahrhunderts zu "Unser vrouwen klage" umgestaltet, einer M. in Reimpaarversen, die bis ins 16. Jahrhundert weite Verbreitung fand. Von den zahlreich überlieferten M. lassen sich in der Schweiz nur einige wenige Bruchstücke nachweisen, die nach dem Standort der Handschriften bezeichnet werden.


Engelberger M.

Das aus sechzehn Versen bestehende Fragment ist in einer Handschrift mit religiösen deutschen und lateinischen Gesängen überliefert und wird auf das letzte Viertel des 14. Jahrhunderts datiert. In einem gereimten Klagemonolog wird Christus von Johannes, vielleicht auch Magdalena, um Trost für seine Mutter gebeten, in den letzten vier Versen wendet sich der Sprecher an Maria. Die unter leeren Notenlinien überlieferten Zeilen zeigen keine Parallelen zu anderen M., sie könnten auch zu einem Hymnus gehören.


Berner M. (auch: Spiezer M.)

Die in einer Berner Sammelhandschrift (der so genannten Gregorius-Handschrift) überlieferten 156 Verse stammen aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts, wobei das Original auf das 14. Jahrhundert zurückgehen dürfte. Der lückenhafte Text besteht aus zwei Klagemonologen (nach der Gefangennahme Christi und unter dem Kreuz), denen je vier einführende Verse vorangestellt sind. In einem Schlussgebet fleht der Verfasser Maria um ihre Fürbitte an. Die Quelle der Berner M. ist nicht feststellbar, Zusammenhänge mit "Unser vrouwen klage" sind wahrscheinlich. Auch für den Passus über die fünf (nicht sieben) Leiden Mariae – der zum Mitleiden auffordert und denjenigen Hilfe verspricht, die Maria in ihrem Leid anrufen – finden sich Parallelen.


St. Galler M.

Das 42 Verse umfassende Bruchstück ist ein Gesangstext ohne Noten und stammt aus dem Schlussteil einer M. Es scheint sich um eine monologische Klage zu handeln. Der Text ist in einer zwischen 1516 und 1526 entstandenen Sammelhandschrift (Inhalt: Gebete, religiöse Gedichte, St. Galler M., St. Galler Himmelfahrtsspiel, Interrogatio Sancti Anselmi) überliefert. Der geringe Umfang des Fragments erlaubt keine nähere Bestimmung.

Literatur

  • Baechtold, Jakob: Geschichte der Deutschen Literatur in der Schweiz, 1892.
  • Weiss, Gottfried: Die deutschen M., 1932.
  • Young, Karl: The Drama of the Medieval Church, 1933 [Reprint 1962, 1967].
  • Lipphardt, Walther: Studien zu den M. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 58/1934.
  • Schuler, Ernst August: Die Musik der Osterfeiern, Osterspiele und Passionen des Mittelalters, 1951.
  • Seewald, Gerd: Die M. im mittellateinischen Schrifttum und in den germanischen Literaturen des Mittelalters, 1952.
  • Wimmer, Erich: Maria im Leid, 1968. Bergmann, Rolf: Studien zu Entstehung und Geschichte der deutschen Passionsspiele des 13. und 14. Jahrhunderts, 1972.
  • Bergmann, Rolf: Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters, 1986.
  • Mehler, Ulrich: Marienklagen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschland, 1997.


Autorin: Heidy Greco-Kaufmann



Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:

Greco-Kaufmann, Heidy: Marienklage, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 2, S. 1179–1180.