Römische Theaterbauten in der Schweiz

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Bei den römischen Theaterbauten werden zwei Typen unterschieden: Theater mit halbrundem Zuschauerraum und gegenüberliegendem Bühnenbereich; Amphitheater, Arenabauten mit rings umlaufenden Zuschauerrängen.

Theater

Die ersten römischen Theater aus Stein entstanden zu Beginn des 1. Jahrhunderts vor Christus. In der Stadt Rom war die Errichtung steinerner Theater lange verboten, für die Veranstaltung von Spielen mussten jeweils hölzerne Provisorien errichtet werden. Mit dem Pompeius-Theater wurde im Jahr 55 vor Christus das erste Stein-Theater der Hauptstadt eingeweiht. In der Kaiserzeit waren die Theater weniger Aufführungsstätten für Tragödien und Komödien als für Mimus- und Pantomimusspiele. Die szenischen Spiele hatten mit den Darbietungen in den Amphitheatern zu konkurrieren.

In der Schweiz existierten römische Theater seit dem Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus in Augst (Augusta Raurica), Avenches (Aventicum), Lenzburg und Lausanne (Lousanna). Das Augster Theater wurde im 2. Jahrhundert vorübergehend für die Veranstaltung von Gladiatoren- und Tierkämpfen benutzt, bis man um 200 nach Christus am Stadtrand von Augusta Raurica ein Amphitheater errichtete. Das erst 1999 bei Bauarbeiten entdeckte Theater in Lausanne wurde zwar konserviert, aber wieder überbaut. Die in der Schweiz erhaltenen Theater gehören zum Typ der gallo-römischen Theater mit einer kleinen Skene (Bühnengebäude) und einer Bühne, die weit in die Orchestra (Auftrittsort des Chors) vorspringt. Über die Darbietungen in den helvetischen Theatern ist nichts Genaues bekannt. Man nimmt an, dass wie in den Theatern Roms vor allem Mimusspiele (populäre Possenspiele) zur Aufführung gelangten, doch ist eine multifunktionale Nutzung der Gebäude wahrscheinlich. So legt zum Beispiel die Ausrichtung der Theater von Augst und Avenches auf einen auf derselben Achse errichteten Tempel die Vermutung nahe, dass die Theater auch bei kultischen Veranstaltungen als Versammlungsstätten dienten.


Amphitheater

Die Amphitheater, die "doppelten Theater" beziehungsweise "Theater mit zwei Hälften", dienten der Veranstaltung von Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen. Das um 70 vor Christus errichtete Amphitheater von Pompeji ist wohl der älteste Amphitheaterbau. Das mächtigste Amphitheater im römischen Imperium war das Kolosseum in Rom, das mindestens 50’000 Zuschauerinnen und Zuschauer fasste, weit mehr als die drei Theater der Stadt zusammen.

Das grösste Amphitheater der Schweiz befindet sich im aargauischen Windisch (Vindonissa). Seine Arena misst 64 x 51 Meter, und sein Zuschauerraum bot gegen 10’000 Menschen Platz. Es wurde Mitte des 1. Jahrhunderts neu errichtet, nachdem sein hölzerner Vorgängerbau niedergebrannt war. Neben der Veranstaltung von Spielen zur Unterhaltung der Soldaten und der Bevölkerung der Siedlung wurden im Amphitheater vermutlich Truppenübungen abgehalten. Mit einer Arena von etwa 27 x 23 Meter ist das Amphitheater auf der Engehalbinsel in Bern das kleinste in der Schweiz. Weitere Amphitheater sind in Avenches, Nyon (Iulia Equestris, 1996 entdeckt), Augst und Martigny (Octodurus) erhalten. Sie stammen alle aus dem 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus.

Die Veranstaltungen in den Amphitheatern Helvetiens lassen sich von ihrem Ausmass her nicht mit denjenigen der Hauptstadt Rom vergleichen. Gladiatorenkämpfe fanden wohl seltener statt als Tierhetzen. Es wurden Tierkämpfe mit einheimischem Wild und Hunden gezeigt; exotische Tiere wie Elefanten, Löwen, Krokodile oder Nilpferde sah man aus Kostengründen kaum. In der Arena auf der Engehalbinsel in Bern wurden vermutlich eher Kampfsportspiele keltischer Tradition als Gladiatorenkämpfe nach römischem Vorbild durchgeführt. Im Mittelalter wurden die römischen Bauten oft als Steinbruch benutzt, seit dem 20. Jahrhundert dienen einige der antiken Theater und Amphitheater wieder als Spielstätten.


Augst BL (Theater und Amphitheater)

Am 16.9.1886 wurde zur 50-Jahr-Feier der historischen und antiquarischen Gesellschaft von Basel Rudolf Wackernagels "Der oberrheinische Antiquarius oder Der Traum ein Leben" in den Ruinen des römischen Theaters in Augst aufgeführt. Eine kontinuierliche Tradition der Freilichtspiele im Theater von Augst wurde von →Karl Gotthilf Kachler begründet. Zwischen 1936 und 1946 erarbeitete er mit Studierenden der Universität Basel zahlreiche Inszenierungen antiker Stücke, teilweise in griechischer oder lateinischer Sprache, deren wesentliches Merkmal das Spiel mit Masken war, die zumeist von →Max Breitschmid, zuweilen auch von →Max Bignens oder Max Gygax gestaltet wurden. Viele dieser Maskenspiele wurden im Theater von Augst aufgeführt, so etwa Plautus’ "Amphitruo" (1938), Euripides’ Satyrspiel "Der Kyklops" und "Iphigenie bei den Taurern" (1943/44) sowie Aristophanes’ "Der Frieden" (1945) und "Die Vögel" (1946). Mit der Berner Studentenschaft führte Kachler Sophokles’ "Antigone" (1944) und mit der Akademischen Theatergruppe der Universität Zürich Plautus’ "Miles gloriosus" (1947) auf. In den fünfziger Jahren inszenierte Kachler mit Berufsschauspielerinnen und -schauspielern Schillers "Die Braut von Messina" (1950 mit →Maria Becker, →Will Quadflieg, →Robert Freitag, Bauten und Kostüme: →André Perrottet von Laban) und Sophokles’ "König Ödipus" (1955). Anlässlich der Feier "2000 Jahre Basel" wurde 1957 →Arnold Küblers "Schuster Aiolos" aufgeführt (Regie: →Marc Doswald, mit →Raoul Alster und →Anne-Marie Blanc). 1960 nahm Kachler die Tradition der Maskenspiele – nun mehrheitlich mit Berufsschauspielerinnen und -schauspielern – wieder auf. Administration und Finanzierung übernahm der bereits 1949 auf Initiative Kachlers gegründete "Verein für Freilichtspiele im römischen Theater zu Augst". Im Rahmen der 500-Jahr-Feier der Universität Basel inszenierte er mit jungen Theaterschaffenden und Basler Studierenden Menanders eben wiederentdeckte Komödie "Der Dyskolos" ("Der Menschenfeind", erneut 1967). Es folgten Euripides’ "Iphigenie bei den Taurern" (1963) sowie Aristophanes’ "Der Reichtum oder Geld regiert die Welt" (1965) und dessen "Die Acharner oder Wie sich’s besser leben lässt" (1974) mit →Vincenzo Biagi und →René Besson in den Hauptrollen. In den achtziger und neunziger Jahren realisierte Jürg Hatz mit Amateurdarstellerinnen und -darstellern Artistophanes’ "Die Vögel" (1983), "Der Friede" (1989), "Die Frösche" (1992) und "Lysistrate" (1996). Die beiden jüngsten Produktionen fanden wegen Renovationsarbeiten nicht im Theater, sondern im Amphitheater beziehungsweise auf dem Tempelhügel statt.


Avenches VD (Theater und Amphitheater)

Im Theater von Avenches inszenierte →Jean Kiehl 1946 Aischylos’ "Prométhée enchaîné"(Musik: →Arthur Honegger, Masken: Hans Erni). Im Amphitheater, den →Arènes d’Avenches, begann in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit Anouilhs "Antigone" (1954) und Emmanuel Roblès’ "Montserrat" (1955) in der Regie von →Daniel W. Fillion eine kontinuierliche Aufführungstradition. 1957 folgten Tristan L’Hermites "Marianne" und Robert Brasillachs "Bérénice" (Regie beide: Raymond Hermantier), 1960 Jean Le Marois’ "Alexandre le solitaire" (Regie: Marcelle Tassencourts). Nach mehrjähriger Unterbrechung wurden die Freilichtspiele im Amphitheater 1976 mit Roger Bariliers "La Reine Berthe" wiederaufgenommen. 1978, im Jahr der 175-Jahr-Feier des Kantons Waadt, folgte Maurice Constançons "Davel" (Regie beide: →Gil Pidoux). Als Uraufführungen waren 1983 Carlos Fuentes’ "Cérémonies de l’aube" (Regie: →Michel Grobéty) und 1988 →Nicole Rouans "Divico et César" (Regie: →Gérard Demierre) zu sehen. Anlässlich der 700-Jahr-Feier der Schweiz wurde 1991 das Spektakel "Hop-là"aufgeführt, an dem sich unter der Gesamtleitung von →Jürg Burth zahlreiche Tanzschaffende und Mimen aus der Schweiz beteiligten (unter anderen →Christian Mattis und →Mummenschanz). Seit 1992 findet jeden Sommer das Festival "Rock Oz’Arènes" statt und seit 1995 das "Festival d’Opéra". Dieses zeigt unter der künstlerischen Leitung von →Sergio Fontana populäre Opern, so Bizets "Carmen", Puccinis "La Bohème", "Tosca" und "Turandot", Rossinis "Il barbiere di Siviglia" und "Guglielmo Tell", Verdis "Aida", "La Traviata", "Nabucco" und "Rigoletto" sowie Mozarts "Die Zauberflöte". Das Festival d’Opéra erhielt Ende 1997 mit dem Verein "Fondation Avenches Opéra" eine neue Trägerschaft. Sie löste die "Association des Arènes d’Avenches" ab, die durch das wetterbedingte Defizit von 1,5 Millionen Franken in Konkurs gegangen war.


Martigny VS (Amphitheater)

Das Amphitheater von Martigny (Amphithéâtre du Vivier) wurde 1991 im Rahmen der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft nach längerer Ausgrabungszeit mit Arthur Honeggers "Nicolas de Flue" eingeweiht und wird seither für verschiedene kulturelle Anlässe genutzt. So inszenierte Grobéty 1995 Aischylos’ "Les Perses", und 1998 wurde unter der Leitung von →Catherine Sumi und →Jacques de Torrenté Beaumarchais’ "Le Barbier de Séville" gespielt, wofür eine Rekonstruktion des Globe Theatre in das Amphitheater eingebaut wurde.


Windisch AG (Amphitheater)

Das Amphitheater von Windisch wurde bereits 1907 für Schillers "Die Braut von Messina" als Spielstätte genutzt. 1986 wurden anlässlich der 2000-Jahr-Feier der Gemeinde das von →Peter Höner verfasste Festspiel "Uf 2 x Tuusig und zrugg" (Regie: Höner) und das Musik-Schauspiel "Grenzen der Macht – Gallus und Columban" (Text und Regie: →Jörg Reichlin) uraufgeführt.

Literatur

  • Kachler, Karl Gotthilf: Maskenspiele aus Basler Tradition, 1986.
  • Kachler, Karl Gotthilf/Aebi, Sara/Brunner, Regula: Antike Theater und Masken, 2003.


Autorin: Sara Aebi



Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:

Aebi, Sara: Römische Theaterbauten in der Schweiz, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 3, S. 1529–1522.