Ulrich Diem
* 16.10.1871 Teufen AR, † 8.8.1957 Speicher AR, auch D.-Bernet.
Besuch der Schulen in St. Gallen, Sekundarlehrerpatent, Zeichnungslehrer in St. Gallen, 1899 Promotion an der Philosophischen Fakultät der Universität Bern. Als freisinniges Mitglied des Gemeinderats wurde D. 1910 Verwaltungsrat der Aktiengesellschaft →Stadttheater St. Gallen und 1912 von der Generalversammlung zum Präsidenten gewählt. Dieses Amt hatte er während knapp vier Jahrzehnten bis 1951 inne. D. engagierte sich kompromisslos für ein qualitativ hoch stehendes, der humanistischen Bildungsidee verpflichtetes Theater. Während des Ersten Weltkriegs leitete er das Stadttheater gemeinsam mit dem Theaterkomitee als Gastspielbetrieb mit in- und ausländischen Ensembles. So gastierten etwa die →Stadttheater Bern, Luzern und Zürich, Max Reinhardt mit dem Deutschen Theater Berlin oder Richard Strauss mit der Meininger Hofkapelle. Nach dem Krieg wurde unter seinem Präsidium 1919 das Pachtsystem abgeschafft; die Verwaltung der Aktiengesellschaft übernahm fortan die volle Verantwortung für das Theater und wählte fest besoldete Direktoren. Auf D.s Initiative wurde ab der Saison 1926/27 die Sommersaison im →Kurtheater Baden übernommen, womit dem Personal des Stadttheaters Ganzjahresverträge angeboten werden konnten. 1931/32 setzte sich D. für eine zweite Berufung des umstrittenen Direktors →Theo Modes an das Stadttheater St. Gallen ein. Er gab als Verwaltungsratspräsident bei der Wahl den Stichentscheid und verteidigte Modes – zumindest in der Öffentlichkeit – bis zu dessen Demission 1938 gegen alle Angriffe. Nach der Entlassung von Modes leitete D. das Stadttheater 1939–46 interimistisch als Direktor. Er bemühte sich um die Schweizer Dramatik, lehnte aber jede ideologische Instrumentalisierung des Theaters ab und setzte Qualität als Kriterium für die Spielplangestaltung über die Nationalität. Er reduzierte die Zahl der Schwänke zu Gunsten von Komödien und Lustspielen und brachte vereinzelt zeitkritische Werke wie Steinbecks "Der Mond ging unter" auf die Bühne sowie mehrere Werke von Hauptmann, Shaw und Strindberg. 1920 war D. Gründungsmitglied, 1923–50 Vorstandsmitglied und 1950 Ehrenmitglied des →SBV. Ausserdem war er 1904–20 Präsident des Kunstvereins St. Gallen, bis 1953 Konservator des Kunstmuseums St. Gallen, 1917–23 Zentralpräsident des Schweizerischen Kunstvereins, 1905 Mitbegründer der Schweizerischen Heimatschutzvereinigung, ab 1906 Leiter der Heimatschutzsektion St. Gallen. D. war auch in diesen Bereichen publizistisch tätig. Er verfasste unter anderem das dreibändige Werk "Aus der St. Gallischen Theater-Geschichte", den Zeitraum 1801–55 umfassend (erschienen 1927, 1936, 1955).
Literatur
- Stadler, Edmund (Hg.): Stadttheater St. Gallen, 1968.
- Wyler, Silvia: Eine St. Galler Theaterkrise. Lizenziatsarbeit der Universität Zürich, 1989.
- Ziegler, Ernst: Theater und Politik um 1933. In: 175 Jahre Stadttheater St. Gallen, 1980.
Nachlass
- Kunstmuseum St. Gallen.
Autorin: Marie-Louise Michel
Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:
Michel, Marie-Louise: Ulrich Diem, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 1, S. 466.