Friedrich Dürrenmatt

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* 5.1.1921 Konolfingen BE, † 14.12.1990 Neuenburg. ∞ I. 1946 Lotte (Lotti) Geissler, Schauspielerin, ∞ II. 1984 Charlotte Kerr, Schauspielerin, Filmemacherin und Journalistin. Sohn eines protestantischen Pfarrers und Enkel des militant-konservativen Berner Nationalrats und Satirikers Ulrich D.

Ab 1941 Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie in Zürich und Bern. 1946 entschied sich D. für das Schreiben und Malen und brach das Studium ab. Sein erstes Stück – "Komödie" (1943) – blieb unaufgeführt. Seine erste Publikation, die Erzählung "Der Alte", erschien 1945 in der Berner Tageszeitung "Der Bund". Mit einem Skandal anlässlich der Uraufführung des Dramas "Es steht geschrieben" am →Schauspielhaus Zürich, Zürich ZH (19.4.1947, Regie: →Kurt Horwitz) begann D.s Dramatikerlaufbahn. Dem Stück liegt die Wiedertäufer-Episode im westfälischen Münster zu Grunde. Ein Teil der Zuschauer sah Konventionen verletzt (angebliche "Unzüchtigkeit") und war empört über den gross angelegten, historisch-fantastischen Bilderbogen, der D.s nihilistisch-pessimistisches Weltbild enthielt. Die Welt wird für ihn zum Sinnbild eines Labyrinths, das sich nur spielerisch, unideologisch und mit Fantasie bewältigen lässt. Zwanzig Jahre später gestaltete D. denselben Stoff neu als Komödie unter dem Titel "Die Wiedertäufer" (Uraufführung 16.3.1967, Schauspielhaus Zürich, Regie: →Werner Düggelin). Unter der Direktion Horwitz’ wurden 1948 "Der Blinde", eine Art Mysterienspiel aus dem Dreissigjährigen Krieg, und 1949 die "ungeschichtliche historische Komödie""Romulus der Grosse" am →Stadttheater Basel uraufgeführt (Regie beide: →Ernst Ginsberg). In "Romulus der Grosse" zeichnete D. erstmals die Figur des ironischen Helden, eines Menschen, der mit sich und der Weltgeschichte ein groteskes Spiel treibt. Mit den Uraufführungen des Stücks "Die Ehe des Herrn Mississippi" und der Komödie "Ein Engel kommt nach Babylon" 1952 beziehungsweise 1953 an den Münchner Kammerspielen (Regie beide: Hans Schweikart) erlangte D. internationale Anerkennung. Dem Zustand der Welt ist nach D.s Auffassung nur durch die Komödie samt ihrer schlimmstmöglichen Wendung beizukommen. Das Vorantreiben der Handlung durch den Zufall bewirkt den Umschlag seiner theaterwirksamen Komik in Angst und Grauen. Dramaturgische Meisterschaft zeichnet D.s Dramen "Der Besuch der alten Dame" (Uraufführung 29.1.1956, Schauspielhaus Zürich, Regie: →Oskar Wälterlin) und "Die Physiker" (Uraufführung 21.2.1962, Schauspielhaus Zürich, Regie: Horwitz) aus. Mit beiden Stücken errang D. Weltruhm. Wiederholt dramatisierte er eigene Hörspiele und Erzählungen. Auch Dramen griff er erneut auf, variierte Themen und Handlungsmuster, experimentierte mit einzelnen Szenen und studierte Bedingungen und Techniken des Theaters. Diese Erfahrungen setzte er in seiner theaterpraktischen Arbeit um: 1954 inszenierte er mit der Schweizer Erstaufführung von "Die Ehe des Herrn Mississippi" am →Stadttheater Bern, Bern BE erstmals ein eigenes Stück. Später zeichnete er bei zwei Inszenierungen von "Der Besuch der alten Dame" verantwortlich (1956 am Stadttheater Basel und 1959 am →Atelier-Theater in Bern). 1968–69 wirkte D. als beratender Mitarbeiter der Direktion der →Basler Theater unter Düggelin. Die erste Saison des neuen Leitungsteams wurde am 18.9.1968 mit der Uraufführung von D.s "König Johann" (nach Shakespeare, Regie: Düggelin) eröffnet; am 8.2.1969 folgte die Uraufführung von D.s "Play Strindberg" (nach Strindbergs "Totentanz", Regie: D. und →Erich Holliger). Im Herbst 1969 trat D., der ein streng auf politische Funktion ausgerichtetes "Werkstatt-Theater" verwirklichen wollte, zurück. D. verfasste umfangreiche Schriften über Theaterprobleme (1966 "Theater-Schriften und Reden", 1972 "Dramaturgisches und Kritisches") und hielt Vorträge und Reden zu aktuellen politischen Fragen. In den späten sechziger und den siebziger Jahren hatte er mit neuen Stücken ("Der Meteor", Uraufführung 20.1.1966, Schauspielhaus Zürich, Regie: →Leopold Lindtberg; "Portrait eines Planeten", Uraufführung 10.11.1970, Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Erwin Axer) wenig Erfolg. Neben seiner dramatischen Tätigkeit wirkte D. weiterhin regelmässig als Regisseur. Unter der Direktion von →Harry Buckwitz inszenierte er am Schauspielhaus Zürich mehrere seiner Stücke, aber auch Werke anderer Autoren: "Urfaust" nach Goethe (1970) und "Portrait eines Planeten" (1971) sowie Büchners "Woyzeck" (1972) und Lessings "Emilia Galotti" (1974). 1979 führte D. Regie bei der Uraufführung seiner Komödie "Die Panne" in Wilhelmsbad/Hanau. Der scheinbare Verächter der Geschichte liess in der Komödie "Achterloo" ein letztes Mal die historischen Puppen tanzen. 1983 wurde das Stück am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt (Regie: →Gerd Heinz), 1988 inszenierte es D. selbst an den Schwetzinger Festspielen mit Kerr als Richelieu. 1994 erfolgte die Erstaufführung in französischer Sprache am →Théâtre de la Poudrière in Neuenburg. Der kranke, mit der Gefahr eines plötzlichen Todes konfrontierte D. versagte sich immer stärker der Komödie und weit gehend allem Dialogischen. Er suchte nach einer neuen Form seiner Literatur und seiner eigenen Existenz. Seine "Stoffe" waren ihm wichtiger als Theatererfolge. In den Prosabänden "Stoffe I–III" (1981) und "Turmbau. Stoffe IV–IX" (1990) erzählt D. die Geschichte seiner Lebensphilosophie, die er mit den Metaphern des Labyrinths und des Turmbaus versinnbildlicht. Das abschliessende Kapitel "Das Hirn", eine Vision der Welt und ihrer Geschichte, wird zum radikalen Gedankenexperiment, zum Vermächtnis. Wenige Tage nach seinem Tod erschien seine Schrift "Abschied vom Theater". Weitere Bühnenwerke: "Frank der Fünfte – Oper einer Privatbank" mit Musik von →Paul Burkhard (Uraufführung 19.3.1959, Regie: Wälterlin), "Herkules und der Stall des Augias" (Uraufführung 20.3.1963 Schauspielhaus Zürich, Regie: →Leonard Steckel), "Titus Andronicus" (Uraufführung 12.12.1970, Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Karl Heinz Stoux), "Die Frist" (Uraufführung 6.10.1977, Schauspielhaus Zürich, Regie: Kazimierz Dejmek). Sonstige Werke: "Der Richter und sein Henker" (1950), "Der Verdacht" (1951), "Justiz" (in den fünfziger Jahren begonnen, 1985 fertig gestellt), "Gesammelte Hörspiele" (1961), "Durcheinandertal" (1989). Fernsehporträt von Kerr: "Portrait eines Planeten" (Süddeutscher Rundfunk, 1984). Das auf Initiative von Kerr eingerichtete Archiv, Ausstellungs- und Forschungszentrum "Centre Dürrenmatt Neuchâtel" (Architekt: →Mario Botta), das D.s Werk gewidmet ist, wurde 2000 eröffnet.

Auszeichnungen

unter anderem

  • 1954 Literaturpreis der Stadt Bern,
  • 1968 Österreichischer Grillparzer-Preis,
  • 1979 Grosser Literaturpreis der Stadt Bern,
  • 1984 Carl-Zuckmayer-Medaille,
  • 1986 Georg-Büchner-Preis,
  • 1989 Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik,
  • Preis der New Yorker Theaterkritiker,
  • fünf Ehrendoktorate.

Literatur

  • Mayer, Hans: Frisch und D., 1992.
  • Bolliger, Luis/Buchmüller, Ernst (Hg.): Play D.: ein Lese- und Bilderbuch, 1996.
  • Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): F. D.: Gespräche 1961–1990, 1996.

Teilnachlass

  • Schweizerisches Literaturarchiv, Bern.


Autorin: Brigitte Marschall



Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:

Marschall, Brigitte: Friedrich Dürrenmatt, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 1, S. 502–504.

Normdaten

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