Heinrich Wirri

Aus Theaterlexikon - CH
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* um 1520 Aarau AG, † nach 1572, auch Wirry, Wirrich, Wurro.

Wahrscheinlich verwandt mit dem Aarauer Spruchdichter Ulrich W. Erlernung des Weberhandwerks. 1544 Kauf des Bürgerrechts in Solothurn und Tätigkeit als Weber und Schneider. Seit 1554 wohnhaft in Zürich, Handelsvertreter des Zürcher Weinhändlers und Bergwerksbesitzers Heinrich Lochmann auf den Messen in Frankfurt und Strassburg. Seit 1568 Bürger in Zell an der Ybbs. Seine Tätigkeit als Handwerker und Kaufmann verband W. mit vielgestaltigen Aktivitäten als fahrender Unterhaltungskünstler, und zwar, wie er selbst sagte, zwecks "Erkundigung der Welt". Auf Märkten und Messen in Zürich, Schaffhausen, Freiburg, Basel, Colmar, Schlettstadt, Strassburg, Freiburg im Breisgau, Nürnberg und Köln führte er zwischen 1557 und 1570 "Komödien" und insbesondere die "Passion Christi mit Figuren" auf, das heisst mit einem "Guckkasten", der im 16. Jahrhundert bis zu drei mal sieben Meter gross sein konnte. Gleichzeitig betätigte sich W. als Verfasser "neuer Zeitungen", wohnte Gerichtsprozessen und Hinrichtungen bei und berichtete dann über die Straftaten, aber auch über Kriegsereignisse in Einblattdrucken, die auf den Märkten nicht nur verkauft, sondern auch vorgetragen oder -gesungen wurden. Mehrere kleine Schriften mit Legenden und Teufelsgeschichten, unter anderem über das schreckliche Ende dreier Spieler in Willisau, waren sicher ebenfalls zum Verkauf und zum Vortrag auf Märkten und bei Festen bestimmt. Daneben trat W. bei Schützenfesten, die im 16. Jahrhundert zur städtisch-repräsentativen Kultur gehörten und die Wehrbarkeit der Städte demonstrierten, als "Pritschenmeister" auf. Dieses aus dem Mittelalter stammende Amt war dreifach: Als Spielleiter sorgte er für die Eröffnung und den ordnungsgemässen Ablauf der Feste, als Dichter besang er ihren Ruhm und als Inhaber der (spielerischen) Gerichtsbarkeit verhängte er mit der Pritsche, einem mehrfach gespaltenen Holz, dessen Schläge mehr Lärm als Schmerz verursachten, Strafen. W. trat als "Pritschenmeister" in Passau, Lauingen, Schwatz und Wien auf, und liess jedes Mal eine Beschreibung der Festlichkeiten in Druck gehen. Was nun noch ausstand, war die "Erkundigung" der höfischen Welt. 1563 beschrieb er die Krönung Maximilian II. zum ungarischen König in Pest und wurde mit einem silbernen "Pritschenmeisterschild" geehrt. Es folgten zwei voluminöse, mit reichen Illustrationen geschmückte Prachtbände über Hochzeitsfeste, die W. vielleicht selbst mitarrangiert hatte. Bei der Beschreibung des Beilagers Wilhelms V. in München 1568 wetteiferte er mit dem berühmten Massimo Trojano. Im Buch über die Wiener Hochzeit des Erzherzogs Karl II. überrascht vor allem W.s Vertrautheit mit der antiken Mythologie bei der Erläuterung der allegorischen Festumzüge. W.s Leben und Schaffen korrigiert das Klischee vom "fahrenden Mann" als Outlaw und zeigt exemplarisch den Übergang von der mittelalterlichen Spielmannskunst zur berufsmässigen Schauspielkunst der Neuzeit.

Literatur

  • Weller, Emil: H. W. Ein Solothurner Dichter. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, 1860, Spalten 397–399 und 439–442 [mit Werkverzeichnis].
  • Kröll, Katrin: Theatrum Mundi versus Mundus Theatri. A Study of the History of Fairground Arts in Early Modern Times. In: Nordic Theatre Studies 2–3/1989.


Autorin: Katrin Kröll



Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:

Kröll, Katrin: Heinrich Wirri, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 3, S. 2111–2112.

Normdaten

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