Volksbühne Zürich, Zürich ZH

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Theaterkollektiv von Amateuren; gegründet mit dem Ziel, das Laienspiel zu kultivieren und der Arbeiterbewegung kulturelle Dienste zu leisten. In den dreissiger Jahren wichtigste Bühne des →Arbeitertheaters in der Schweiz. Die V. wurde im Frühjahr 1931 von Mitgliedern der aufgelösten Proletarischen Bühne Zürich und weiteren Personen gegründet. Hauptinitiator war der Schauspieler →Fritz Pfister, der die künstlerische Leitung übernahm. Eröffnet wurde die V. am 12.9.1931 im Zürcher Volkshaus mit Arnold/Bachs Schwank "Der wahre Jakob!"(Regie: Pfister). Auf dem Programm standen zunächst Lustspiele und Schwänke, darunter →Paul Langs "Der Einbrecher", was die Kritik der sozialdemokratischen Presse hervorrief. 1932 übernahm deshalb Michael-Eduard Flürscheim die Leitung der V. Er inszenierte seine Bearbeitung von Alfred Döblins "Die Ehe" ("Die junge Ehe", 14.10.1932), Adolf Stemmles "Kampf um Kitsch" (10.2.1933) und die Uraufführung von →Jakob Bührers "Kein anderer Weg?"(1.5.1933). Gleichentags trat die V. mit dem vom Kollektiv selbst verfassten Stück "Wehret den Anfängen" erstmals an einer kommunistischen Veranstaltung auf. Die V. entwickelte sich nach 1933 – zusammen mit dem →Cabaret Cornichon und dem →Schauspielhaus Zürich – zu einem der profiliertesten antifaschistischen Theaterensembles der Schweiz. Obwohl die meisten Mitglieder der Kommunistischen Partei nahe standen, trat die V. bei festlichen Anlässen beider Arbeiterparteien, der Gewerkschaften und bei Bildungsanlässen auf. Die V. versuchte, die Theaterarbeit zur politischen Erziehung zu nutzen, und wurde zu einer frühen Vorkämpferin der Volksfrontpolitik. Diese Ziele bestimmten Stückwahl und Themen (Arbeitslosigkeit, Abtreibung, Schulreform, Frauenwahl- und -stimmrecht, Altersvorsorge, Verhältnis Arbeiter/Bauer, Spanischer Bürgerkrieg, Nationalismus, Faschismus und Kriegsgefahr). Die Politisierung der Bühne wurde nach dem Ausscheiden Flürscheims 1934 von →Kurt Früh fortgesetzt. Er verfasste für die V. zahlreiche Dramen, politische und kabarettistische Szenen und Sprechchöre im Stile →Bertolt Brechts, die er meist selbst zur Aufführung brachte, darunter "Sie hetzen 17 Jahre" (Montage, 1934), "Muss das so sein?"(Szenen, 1935), "Einer" (Szenen, 12.10.1935), "Hans im Glück" (1936). Früh schrieb auch "Das Volksbühnenlied" (Musik: →Tibor Kasics), das ab 1935 vor jeder Aufführung gesungen wurde. Darin heisst es: "Unser Spiel, es sei kein Spielen / Unser Spiel soll Kämpfen sein"; indes spielte die V. nach 1935 zur Gewinnung ihres Zielpublikums vermehrt auch politisches Kabarett. 1937 führte die V. Erwin Langs "Freiheit, die ich meine" und →Gody Suters "Mit Pook nach Brasilien" auf. Die Regie besorgte neben Kurt Früh oft →Robert Trösch, der 1936–39 der V. auch als Darsteller und Autor ("Der andere Weg", "Chruut und Rüebli", beide 1936) zur Verfügung stand. Neben eigenen, meist zeitbezogenen Stücken, Szenen, Revuen und Kabarettnummern realisierte die V. vor dem Krieg die Schweizer Erstaufführungen von Friedrich Wolfs "Floridsdorf" (1935) und Brechts "Die Gewehre der Frau Carrar" (1938). Der von Alexander Tairow und E. F. Burian beeinflusste Aufführungsstil der V. war eine Abkehr vom Bühnennaturalismus und zeichnete sich durch Sparsamkeit in der Dekoration, Verzicht auf Requisiten und die Hervorhebung des Worts aus. Die Aufführungen fanden im Theatersaal des Restaurants "Sonne" an der Zürcher Hohlstrasse (mit 300 Plätzen) statt; im Volkshaus am Helvetiaplatz (im 1928 neu erbauten Theatersaal mit 1200 Plätzen und einer Bühne für grosse Chöre); ferner Auftritte in und um Zürich und in den Industriestädten Baden, Winterthur und Schaffhausen. Die Hauptspieltätigkeit lag zwischen Herbst und Frühling mit monatlich ungefähr zehn Vorstellungen. Die künstlerischen Leiter und unterstützende Bühnenkünstlerinnen und -künstler erteilten dem Laienensemble Sprechtechnik und Schauspielunterricht, darunter: →Werner Kraut, →Katharina Renn, →Sigfrit Steiner, →Mathilde Danegger; die Musiker Kasics, →Werner Kruse, →Rolf Liebermann, →Huldreich Georg Früh, Valeska Lindtberg-Hirsch; auch Mitglieder des →Schauspielhauses Zürich wirkten an der V. mit, etwa Bühnenarbeiter Saly Liebermann und der Bühnenbildner →Robert Furrer, zum Teil unter Pseudonym. Die V. suchte die Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, beispielsweise mit der "Singgruppe Zürich" und der "Arbeitermusik Union Zürich", mit den Spielgruppen "Der Scheinwerfer" Basel, "Die rote Spielgruppe Luzern", der "Neue Chor Biel", "Abakal Langenthal" und mit der "Fédération Romande", der neben anderen die →Théâtre Prolétarien von Genf und von Lausanne angehörten. 1935 gründete sie zusammen mit dem "Neuen Chor Zürich" den "Block der Arbeiterbühnentruppen der Schweiz". Das Ziel der Kooperation bestand darin, durch gemeinsame Kurse die künstlerische Qualität des Arbeitertheaters zu verbessern und Informationen und Spielmaterial auszutauschen. Zur Unterstützung der V. wurde 1934 die Besucherorganisation "Freundeskreis der V."ins Leben gerufen. Um die Öffentlichkeit über die politischen und künstlerischen Absichten zu informieren, erschien 1934–35 die Zeitschrift "Die V.". Mit der Kriegsmobilmachung 1939 und der politischen Repression gegen kommunistische Gruppen wurde die engagierte Theaterarbeit der V. zunehmend erschwert. 1939–44 konnten die wenigen Aufführungen nur mehr als Veranstaltungen der Sozialdemokratischen Partei gezeigt werden: 1939 anlässlich der Tage der Arbeit an der Landesausstellung das von →Albert Ehrismann und Kurt Früh verfasste Festspiel "Der neue Kolumbus"; 1941 zur 1.-Mai-Feier als Schweizer Erstaufführung Brechts "Die Mutter". 1944 waren Mitglieder der V. an der Uraufführung von →Walter Lesch/Huldreich Georg Frühs Chorspiel "Der junge David" beteiligt. Mit der Gründung der kommunistischen Partei der Arbeit 1944 unternahmen frühere Ensemblemitglieder um Adam Friedmann den Versuch, die V. in teilweise neuer personeller Zusammensetzung wieder zu beleben. Schon vor dem Krieg hatte sich Kurt Früh vermehrt dem Film zugewandt; andere Mitglieder wurden Berufsschauspieler (Kurt Brunner, →Margrit Rainer); wichtige Stützen wie Trösch, Danegger oder Saly Liebermann verliessen Zürich kurz nach dem Kriegsende. Dennoch kam es erneut zu einer Reihe von Aufführungen: "Vorwärts in eine neue Welt" (Spiel in neun Bildern von →Hans Weigel, ohne Nennung des Autors, 1945); "Reise in die gelobte Stadt" (Singspiel von Gody Suter, 1945); die szenische Erstaufführung des dramatischen Gedichtes "Die drei Soldaten" von Brecht (1947); zuletzt wohl 1949 das kabarettistische Programm "Radio Seldwyla". Trotz einer nochmaligen Neugründung (1950) eines Vereins "Volksbühne Zürich" konnte die V. nicht mehr an die Erfolge der Vorkriegsjahre anknüpfen. Anlass zu Verwechslungen bildete zuweilen der Name: 1923/24 existierte in Zürich unter dem Namen "Schweizerische V."eine Wanderbühne (Oberspielleiter: →Felix Moeschlin), 1936–37 zudem →Werner Johannes Guggenheims Tourneetheater "Schweizerische V.". Nach 1968 verwendeten Zürcher Laienspielgruppen gelegentlich den Namen im Sinn eines engagierten kritischen Volkstheaters.

Literatur

  • Früh, Kurt: Rückblenden, 1975.
  • Frey, Ivo: Proletarisches, Agitprop- und antifaschistisches Theater. Dissertation der Universität Bern, 1983.
  • Baumgartner, Walter: Die V., Radio DRS, 1991.

Archiv

  • Stadtarchiv Zürich.


Autor: Werner Wüthrich



Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:

Wüthrich, Werner: Volksbühne Zürich, Zürich ZH, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 3, S. 2024–2025.