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Orakel

Wer das Orakel in Delphi befragen wollte, hatte verschiedene Regeln zu beachten. Ohne Bürgschaft war Fremden der Zutritt zum Orakel verwehrt. Nach der Ankunft im Heiligtum wendeten sich die Besucher deshalb zuerst an den ständigen Vertreter ihrer Polis, der für sie bürgen konnte. Die Ratsuchenden mussten dann eine Gebühr bezahlen und ein Opfer darbringen. Die Zulassung zum Orakel hing nun vom Ausgang dieses Opfers ab. Eine Befragung war nur möglich, wenn das zum Opfer bestimmte Tier am ganzen Körper zitterte. Nach dem Opfer hatten sich die Besucher in der kastalischen Quelle zu reinigen. Anschliessend begaben sie sich zum Apollon-Tempel und warteten auf die Ankunft Pythias, der Seherin, durch deren Mund der Gott sprach. Laut Plutarch, einem Apollonpriester im 1. Jahrhundert n. Chr., waren ein Dreifuss, Lorbeerzweige und der Omphalos wesentliche Bestandteile des Orakels. Der genaue Verlauf der mantischen Prozedur ist jedoch nicht geklärt.

Delphi war nicht die einzige griechische Orakelstätte. Bevor der lydische König Kroisos ein Orakel in der Frage um Rat ersuchte, ob er einen Feldzug gegen das persische Reich wagen konnte, sandte er Boten aus, die die verschiedenen Orakel zuerst auf die Probe stellen sollten:

«Die einen kamen nach Delphi, die anderen nach Abai in Phokis, die dritten nach Dodone. Einige wurden nach Amphiaraos und Trophonios geschickt und wieder andere zu den Branchiden im Gebiet von Milet. Das waren die hellenischen Orakelstätten, zu denen Kroisos schickte, um sich weissagen zu lassen.» (Herodot: Historien, I, 46)

Dodona ist die älteste literarisch bezeugte Orakelstätte Griechenlands. Im Heiligtum des Zeus Naios waren die Orakelsprüche ursprünglich aus dem Rauschen der heiligen Eiche abgeleitet worden. Schon Odysseus hatte dieses Orakel um Rat gefragt:

«Noch sei er fort in Dodona; aus hochbewipfelter Eiche
Spricht dort Zeus, der Gott, dessen Rat er zu hören verlange,
Wie er wohl Heimkehr finde zu Ithakas reichen
Bewohnern, Heimlich oder dass alle ihn sähen; denn lang sei er ferne.»
(Homer: Odyssee, XIV, 327 ff.)

 

Spätestens im 4. Jahrhundert v. Chr. wurden die Orakelsprüche den Rat-Suchenden auf einem beschriebenen Bleitäfelchen übermittelt, das unter Aufsicht einer Priesterin aus einem Topf voller Lose gezogen worden war.

Nicht aus Dodona erhielt Kroisos die richtige Antwort auf seine Testfrage, sondern aus Delphi sowie aus dem Heiligtum des Amphiaraos, vielleicht aus demjenigen in Oropos. Der König liess darauf beide Orakel anfragen, ob er gegen die Perser in den Krieg ziehen solle. Von beiden Orakeln erhielt Kroisos die – von ihm anschliessend falsch ausgelegte – Antwort, dass er mit diesem Feldzug ein grosses Reich zerstören werde.