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Volksversammlung

Bei Homer und Hesiod werden mit «Agora» sowohl die einberufene Volks- bzw. Heeresversammlung bezeichnet als auch der Ort dieser Versammlung sowie die Gerichtsstätte. Gleichzeitig war die Agora Kultstätte für Götter und Veranstaltungsort der Agone. Sie hatte damit neben der politischen eine religiöse Funktion. Dass die Agora synonym auch «Choros», Tanzplatz, genannt wird, legt mit anderen Indizien die Vermutung nahe, dass der Tanzplatz selbst nicht nur Ort der kultischen Handlung, sondern auch politischer Mittelpunkt der archaischen Agora war.

Eine solche Doppelfunktion erfüllte beispielsweise das archaische Theater in Argos. Im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. fanden in diesem politischen Zentrum auch chorische und dramatische Vorführungen statt, bis diese zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. in das neu errichtete grössere Theater verlegt wurden, wo nun auch die Volksversammlung tagte. Das archaische Theater wurde jedoch weiterhin für Gerichtsverhandlungen benutzt und bewahrte so eine politische Funktion. Die kultisch-agonale Funktion nahm im 2. Jahrhundert n. Chr. das darüber errichtete römische Odeum wieder auf.

Die funktionale Verbindung von Orchestra und Agora wurde in den meisten griechischen Theatern fortgeführt. Auch das Dionysos-Theater am Akropolishang in Athen übernahm schliesslich die Doppelfunktion des ursprünglichen Tanzplatzes. Zwar hatte die Volksversammlung mit der Pnyx eine eigene Tagungsstätte erhalten, seit Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. verlegte die athenische Volksversammlung ihren Sitz jedoch mehr und mehr ins Theater, in welchem auch die chorischen und dramatischen Agone zu Ehren Dionysos’ stattfanden.

Die Belege dafür, dass griechische Theaterbauten von der Volksversammlung als Tagungsstätte genutzt wurden, sind sowohl archäologischer als auch literarischer Art. Im Theater von Priene zum Beispiel wird dies durch eine im Theater gefundene Wasseruhr nahegelegt, die vermutlich der Beschränkung der Redezeit diente. Pausanias erwähnt, dass sich Lykiskos während des Ersten Messenischen Krieges im Theater von Ithome – damit ist das Theater von Messene am Fusse des Berges Ithome gemeint – vor der Volks-versammlung rechtfertigen musste:

 

«Er [Lykiskos] wurde nach Ithome gebracht und der Volksversammlung vorgeführt und rechtfertigte sich damit, dass er nicht als Vaterlandsverräter fortgegangen sei, sondern wegen der Aussage des Sehers über seine Tochter, dass sie nicht seine wahre Tochter sei. Mit dieser Rechtfertigung schien er aber nicht eher die Wahrheit zu sagen, als bis die damalige Priesterin der Hera ins Theater kam. Sie gab zu, das Mädchen geboren und es der Frau des Lykiskos abgetreten zu haben.»
(Pausanias: Beschreibung Griechenlands, IV 12, 5 f)