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Pantomimus

Der Pantomimus gehörte in der römischen Kaiserzeit zu den populärsten Theaterformen. In seinem Roman «Der goldene Esel» schildert der Dichter Apuleius eine pantomimische Aufführung des Paris-Urteils. Dieses Motiv erscheint auf Mosaiken, Fresken, Reliefs und Plastiken, die Theater und Privathäuser schmückten, besonders häufig. Im Theater von Sabratha sind der Hirte Paris, der Götterbote Merkur und die drei Göttinnen Juno, Minerva und Venus auf dem Bühnenrelief abgebildet.

«Ein paar Ziegen rupften Grünzeug, und wie Paris, der phrygische Hirt, schön kostümiert – exotische Gewänder flossen ihm von den Schultern und eine goldene Mütze bedeckte seinen Kopf – mimte ein junger Mann den Hüter der Tiere. Dann ist da ein entzückender Knabe, nackt bis auf das die linke Schulter bedeckende Ephebenmäntelchen, in herrlicher blonder Locken-pracht, und aus seinen Haaren ragten zwei goldene Flügelchen in symmetrischer Anordnung heraus; auch der Heroldsstab kennzeichnete ihn als Merkur. Der tritt in schnellem Tanzschritt auf, einen mit Blattgold überzogenen Apfel in der Rechten, den er dem Darsteller des Paris reicht; dabei deutet er ihm den Auftrag Jupiters durch Gesten an, zieht sich schnell und gewandt zurück und entschwindet den Blicken.

Auf ihn folgt ein Mädchen mit hoheitsvoller Miene, wie die Göttin Juno anzuschaun; denn das Haupt umgab ein strahlendes Diadem, und ein Szepter trug sie auch. Dann stürmte noch eine herein, die man für Minerva halten konnte: ihr Haupt war mit einem funkelnden Helm bedeckt, und der Helm wieder mit einem Kranz aus Ölzweigen; sie hob den Schild und schwang die Lanze und sah so wie die Göttin auf dem Schlachtfeld aus. Zu diesen trat noch eine auf, ein überwältigend prächtiger Anblick: in der Anmut ihres ambrosischen Teints stellte sie die Venus dar, so wie Venus war, als sie noch Jungfrau war. Ihr nackter, unverhüllter Körper liess vollendete Schönheit sehen, nur dass sie mit einem zarten Seidenschal die Scham beschattete, die aber sichtbar blieb. Ein bisschen neugierig, hob der Wind bald freund-licherweise das Tuch neckisch an, so dass es zur Seite wich und die knospende Jugend sehen liess; bald drückte er es spielerisch mit seinem Hauch hin, so dass es sich eng anschmiegte und die Konturen der verführerischen Glieder andeutete.

 

Aber die Farben an der Göttin liessen gleich einen Gegensatz sehen: der Körper blendend weiss, weil sie vom Himmel herabsteigt, der Umhang blau, weil sie vom Meer heraufsteigt.

Nun trat neben die einzelnen Jungfrauen, die die Göttinnen spielten, ihre Garde, und zwar neben Juno Kastor und Pollux, ovale Helme mit Sternspitzen als Kopfbedeckung; freilich auch dieses Brüderpaar waren Knaben aus der Schauspielertruppe. Das betreffende Mädchen kommt zu den Melodien einer jonischen Flöte nach vorn und verspricht mit ruhigen, ungezierten Gesten und hoheitsvollen Gebärden dem Hirten, wenn er ihr den Preis der Schönheit zuspreche, werde sie ihm die Herrschaft über ganz Asien geben.

Doch die andere, welche der Waffenschmuck zu Minerva gemacht hatte, wurde von zwei Knaben als waffentragenden Begleitern der Kriegsgöttin eskortiert, Schrecken und Furcht. Sie tanzten mit blanken Schwertern. Hinten aber spielte ein Flötenbläser eine dorische Kriegsmelodie, mischte dumpfe Basstöne mit hellem, trompetenartigem Geschmetter und brachte dadurch einen schwungvollen und lebhaften Reigen in Gang. Mit unruhigem Haupt und drohend dreinblickenden Augen suchte sie dem Paris durch bündige Fuchtelbewegungen energisch klarzumachen, wenn er ihr den Schönheitspreis zuerkenne, würde er dank ihrer Hilfe ein Held mit glänzenden Kriegsauszeichnungen werden.

Schau! Da steht Venus unter lautem Beifall des Theaters mitten auf der Bühne hold lächelnd in lieblicher Haltung da. Um sie wimmelt ein Schwarm fröhlicher Jungen. Diese rundlichen, milchzarten Buben hätte man sagen mögen, seien richtige Amoretten und gerade eben vom Himmel oder aus dem Meere hergeflogen: mit ihren niedlichen Flügeln und putzigen Pfeilen und sonstigem Aufzug passten sie wunderbar dazu, und als ginge sie zu einem Hochzeitsessen, leuchteten sie ihrer Herrin mit flackernden Fackeln voran. Und nun strömen reizende Scharen unverheirateter Mädchen herein, hier als anmutige Grazien, da als wunderschöne Horen. Sie warfen Blumenkränze und lose Blüten, um ihre Göttin zu feiern, hatten einen kunstvollen Reigen formiert und umschmeichelten die Herrin aller Lust mit dem Frühlingsschmuck. Flöten lassen jetzt aus all ihren Löchern den süssen Schall lydischer Weisen erklingen.

 

Während diese die Herzen der Zuschauer in Entzücken setzen, begann, weit entzückender noch, Venus sich anmutig zu bewegen; mit zögernd verhaltenem Schritt und leicht wiegender Taille und leise nickendem Haupt schritt sie dahin, ging auf die weichen Flötenklänge mit sanften Bewegungen ein und liess ihre bald mild geschlossenen, bald scharf drohenden Augen sprechen, ja tanzte mitunter nur mit Blicken. Als sie in Gesichtskreis des Schiedsrichters kam, schien sie durch ein Schwingen der Arme zu verheissen, falls sie den anderen Göttinnen vorgezogen würde, werde sie Paris eine Frau geben von wunderschöner Gestalt und ihr Ebenbild. Da reichte der junge Phryger seinen goldenen Apfel von Herzen gern dem Mädchen gleichsam als Ja für ihren Sieg.

[…] Als das Parisurteil zu Ende ist, gehen Juno und Minerva traurig und wie im Zorn von der Bühne, wobei sie ihren Unmut über die Zurückweisung durch Gesten zu verstehen geben. Aber Venus, jubelnd und heiter, äusserte ihre Freude durch einen Tanz mit dem Ensemble.»
(Apuleius: Der goldene Esel, X, 30, 2–32; 34, 1)