Barbara Mundel
* 13.1.1959 Hildesheim (D).
Studium der neueren deutschen Literatur, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin, Frankfurt am Main und München. Zunächst Regieassistentin an der Landesbühne Hannover. Dann Zusammenarbeit mit →Herbert Wernicke am Staatstheater Darmstadt, am Nationaltheater Mannheim und an der Deutschen Oper in Berlin, ab Mitte der achtziger Jahre mit den Theaterschaffenden Alfred Kirchner, Wilfried Minks, B. K. Tragelehn, Werner Schroeter und Franz Xaver Kroetz in München und Bochum. 1988–92 Engagement als Dramaturgin und Regisseurin am →Theater Basel unter →Frank Baumbauer. Dort arbeitete sie unter anderem mit →Hans Hollmann, →Christoph Marthaler und →Jossi Wieler zusammen und inszenierte beispielsweise 1989 die Uraufführung von →Patricia Jüngers "Die Klavierspielerin" nach Elfriede Jelineks gleichnamigem Roman sowie 1990 die Schweizer Erstaufführung von Gisela von Wysockis "Schauspieler Tänzer Sängerin" als spartenübergreifende Projekte, beide gemeinsam mit Veit Volkert. Anfang der neunziger Jahre war M. als freischaffende Regisseurin unter anderem bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen und an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin (Leitung: Frank Castorf) tätig. 1995 wurde sie Mitglied des Leitungsteams der Volksbühne, wo sie als Dramaturgin mit Castorf, Christoph Schlingensief, Johann Kresnik und Marthaler arbeitete. Zudem hatte M. begonnen, Opern zu inszenieren, darunter 1994 Peter Cornelius’ "Der Barbier von Bagdad" und 1995 Saint-Saëns’ "Samson und Dalila" an der Oper Frankfurt sowie 1994 Strawinsky/→Charles Ferdinand Ramuz’ "L’→Histoire du Soldat" an den Salzburger Festspielen. 1999 übernahm M. in einem Vierjahresvertrag die Direktion des →Luzerner Theaters. Ihre Entscheidung, das feste Ballettensemble zu Gunsten eines choreografischen Zentrums als Produktions- und Gastspielstätte ("Luzerntanz", Leitung: Walter Heun) abzuschaffen, stiess auf Skepsis. M. begann ihre Direktion mit einem fast vollständig neuen Schauspiel- und einem stark veränderten Opernensemble. Den Spielplan prägten Schauspielprojekte (zum Teil Bearbeitungen von nichtdramatischen Texten), unbekannte Opern sowie spartenübergreifende Produktionen. Neue Aufführungsformen und ungewöhnliche Spielorte wurden erprobt. Ein Drittel der Inszenierungen waren Koproduktionen. Jede Spielzeit stand unter einem Motto, beispielsweise "heimatlich – heimlich – unheimlich", "happy end – der mensch der zukunft" und "www.geldmachtnatur.ch". Symposien und andere Begleitveranstaltungen ergänzten den Spielplan. Unter M. inszenierten unter anderem im Schauspiel Jarg Pataki (Philippe Minyanas "Das Totenhaus" mit lebensgrossen Puppen), René Pollesch (Bühnensoap "Java in a box"), Daniel Wahl ("Wolfsjunge" mit Gehörlosen und Hörenden) und Helena Waldmann ("Ausweitung der Kampfzone" nach Michel Houellebecq) sowie in der Oper Andreas Baesler (Glucks "Armide"), Reinhild Hoffmann (Mozarts "Don Giovanni"), Ernst-Theo Richter (Verdis "Luisa Miller"), Michael Talke (Webers "Der Freischütz") und Kazuko Watanabe (Olga Neuwirth/Jelineks "Bählamms fest."). Das Luzerner Theater erwies sich für einige junge Regisseurinnen und Regisseure als Karrieresprungbrett. Auch in der Nebenspielstätte "UG" konnten Nachwuchstheaterschaffende neue Aufführungsformen entwickeln. Infolge der Neuausrichtung gingen in der ersten Spielzeit die Publikums- und besonders die Abonnementszahlen stark zurück. In der Fachwelt wurde man hingegen vermehrt auf das Luzerner Theater aufmerksam. Als in der zweiten Spielzeit die Auslastungszahlen wieder anstiegen, schien das zeitgenössische Regietheater auch in Luzern Zuspruch gefunden zu haben. Dennoch wurde M. weiterhin kritisiert, in rechtsbürgerlichen Kreisen häuften sich Forderungen nach Subventionskürzungen. 2002 gab M., die kurz zuvor ihren Vertrag um zwei Jahre verlängert hatte, ihren um ein Jahr vorgezogenen Rücktritt auf 2004 bekannt. Ab 2004 ist M. als Chefdramaturgin und Schauspieldirektorin an den Münchner Kammerspielen unter Baumbauer engagiert. Sie wurde zur Direktorin des Theaters Freiburg im Breisgau ab 2006 berufen. M. war auch Dozentin am Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Giessen, an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt am Main, an der University of Melbourne und der Newcastle University.
Autor: Dominique Spirgi
Bibliografische Angaben zu diesem Artikel:
Spirgi, Dominique: Barbara Mundel, in: Kotte, Andreas (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Chronos Verlag Zürich 2005, Band 2, S. 1293–1294.